Über die erstaunliche Wirkung von Scott Peck’s Empfehlungen.
Wir erleben es zu häufig: In unseren Gesprächen stellen sich meist Gedanken in den Vordergrund, die aus der Ego-Kiste des Verstandes hochpoppen.
Dadurch reden wir nicht selten aneinander vorbei. Und noch seltener berühren wir unser Gegenüber auf der Ebene der Seele.
Doch es geht auch anders. Beinahe automatisch, wenn wir in unserer Kommunikation bestimmte Empfehlungen beherzigen.
Autor dieser Empfehlungen ist der Amerikaner Scott Peck. Sein Lebensthema war das Erforschen von Gemeinschaft.
Warum schreibe ich hier im Blog darüber? Weil diese Empfehlungen sehr heilsam sind. Sie ermöglichen, einander authentisch, ehrlich und achtungsvoll zu begegnen. Und das tut einfach allen Beteiligten sehr gut.
Von Pseudo- zu echter Gemeinschaft in zwei Tagen
Es ist schon einige Jahre her, doch meine Erinnerung an dieses Seminar für “Gemeinschaftsbildung nach Scott Peck” ist immer noch sehr lebendig: Wir sind 22 Interessierte, die sich vorher noch nie gesehen haben. Ein zweitägiger Gesprächskreis soll uns nach Möglichkeit durch 4 Phasen der Gemeinschaftsbildung führen:
- Pseudo-Phase: “Piep piep piep – wir haben uns alle lieb”
- Chaos-Phase: Gegenseitiges Überzeugen-wollen
- Leere: Loslassen des Überzeugen-wollens
- echte, authentische Gemeinschaft
Susanne und Gerhard, die unsere Leiter sind, begnügen sich mit der Erwähnung dieser Phasen sowie der Kommunikations-Empfehlungen, die auf großen Plakaten sichtbar bleiben. Sie verzichten auf einen Theorieblock und fordern uns auf, zu beginnen. Irgendwie. Einfach miteinander reden, in Kontakt gehen.
Die Leitung hält sich komplett raus.
In beiden Tagen verzichten Susanne und Gerhard auf jegliche Führung, und wir sind ganz auf uns gestellt. Sie geben uns lediglich zwei- oder dreimal ein kleines Feedback, in welcher Phase wir gerade sind.
Dennoch erreichen wir am zweiten Tag spürbar die Verwirklichung von authentischer, echter Gemeinschaft. Und das als absolute Neulinge komplett ohne jegliche Anleitung!
Im Folgenden beschreibe ich die für mich erstaunlichsten Eindrücke.
Ein “häßlicher” Mensch ist auf einmal schön.
Gleich zu Anfang fordert eine Frau, ein Duftlämpchen zu beseitigen, gegen dessen Duftöl sie empfindlich sei. Diese Frau erscheint mir unglaublich dick, beinahe so breit wie lang, und ich finde sie “häßlich”.
Doch am zweiten Tag, nach einigen gemeinsamen Gemeinschafts-Prozessen, hat sich meine Wahrnehmung drastisch geändert. Ich empfinde sie nur schön! Eine lichtvolle, schöne Seele, der ich begegnen darf. Vielleicht ist dieses Erlebnis für mich das eindruckvollste von allen.
Zum Thema “den Körper lieben wie er ist” lies auch diesen Artikel.
Sehr spannend im Verlauf des Seminars sind die deutlichen und subtilen Wirkungen der Scott-Peck-Empfehlungen. Besonders diese:
“Sprich, wenn du bewegt bist.”
Das überprüfen wir immer wieder: Muß ich diese Gedanken denn wirklich gerade mitteilen? Oder will doch wieder nur mein Ego irgendeine Geschichte zum Besten geben?
“Sprich nur, wenn du bewegt bist.” Daran halte wir uns – meistens.
Bei mir es dauert nicht lange, bis zwei sehr eigenartige Körpergefühle auftreten:
Oberhalb des Halses, also im Kopf fühle ich Verwirrung und gehemmte Ratlosigkeit. Im übrigen Körper unterhalb des Halses fühle ich mich warm und kraftvoll. Vor allem in der Herzgegend.
Zeigt mir der Körper nicht nahezu perfekt, wie sich die Kräfte verschoben haben? Das Verstandes-Ego ist ausgebremst und weiß nicht, wie und wo es sich noch einbringen kann. Und die Seele lebt auf und läuft warm.
Wir begegnen uns alle automatisch auf Seelenebene, aufgrund dieser Empfehlung. Es geschieht sehr subtil, beinahe unbemerkt.
Ich will dann mein eigenartiges Körpergefühl gleich mitteilen, jedoch daran scheitere ich. Niemand versteht was ich sagen will, wie es mir innerlich geht. Bald gebe ich auf, ohne darauf zu bestehen, verstanden zu werden.
“Doziere nicht.”
Eine andere Szene: Auf sehr authentische und klare Weise teilt ein Mann uns seine tiefe und resignative Traurigkeit mit, keine Verbindung zu Gott herstellen zu können. Alle Bemühungen waren bisher scheinbar erfolglos.
Daraufhin ergreift eine Frau das Wort und gibt ihm Ratschläge, wie er das Problem ganz einfach lösen könne. Ich merke zweierlei:
Erstens spüre ich beim Zuhören ihres Dozierens sofort Müdigkeit und Desinteresse. Mindestens meine Seele will hier offenbar keine Belehrungen hören.
Zweitens spüre ich, daß der Mann hier wohl mehr mit Gott verbunden ist als sie. Denn er wirkt sehr authentisch und ganz bei sich, während sie aufgesetzt wirkt. Gleichzeitig bin ich auch ihr wiederum sehr dankbar, daß sie diese Rolle spielt, denn mir selbst ist Dozieren nicht fremd. Gut, es so deutlich vorgeführt zu bekommen.
Das sind zunächst nur meine subjektiven Wahrnehmungen. Doch auch anderen geht es so. Wobei es nicht zu Verurteilungen kommt. Es reicht, daß Desinteresse da ist. Das Gespräch geht einfach woanders weiter, mit neuer Dynamik und Kraft.
Immer präsent – ohne selbst zu reden.
Gegen Seminar-Ende bestätigen Susanne und Gerhard uns, daß wir ein Feld echter Gemeinschaft erzeugt haben und uns alle darin aufhalten. Eine Frau, die an beiden Tagen nichts mitgeteilt hat, fühlt sich ebenfalls deutlich in diesem Feld und sagt, sie sei die ganze Zeit über sehr präsent gewesen.
Einer Gruppe fremder Menschen gelang es hier also offensichtlich, innerhalb von nur zwei Tagen ein authentisches Feld von echter Gemeinschaft zu erzeugen. Und wir waren noch nicht einmal samstagabend nach dem Seminar in weiterem Austausch, denn wir übernachteten an unterschiedlichen Orten.
Ein sehr ermutigendes Ergebnis, wie ich finde, zumal wir überhaupt nicht angeleitet wurden. Es mag indessen nicht immer gleich so günstig verlaufen. Später – in einer Gemeinschaft in Thüringen – gab es während eines Gesprächskreises zunächst ein halbstündiges Schweigen. Warum? Niemand fühlt sich innerlich genügend bewegt, um das Wort zu ergreifen…
Resumé
Im Laufe der Jahre fand ich mich in vielen Zusammenkünften, wo Menschen sich einander mitteilten – von Seele zu Seele. Zum Beispiel während systemischer Familienaufstellungen, wo ohnehin die Seelenebene im Vordergrund der Aufstellungsarbeit steht.
Auch innerhalb von Lebensgemeinschaften genoß ich es immer, im größeren Kreis einander ehrlich aktuelle Befindlichkeiten und Erfahrungen mitzuteilen.
Jedesmal war zu spüren, daß solch ein offener und ehrlicher Austausch überaus heilsam ist. Und zwar für alle Beteiligten.
Manche der Scott-Peck-Empfehlungen sind intuitiver Bestandteil solcher Kreise, ohne daß auf sie hingewiesen werden muß. Doch sie alle sind es wert, erneut in unser Bewußtsein gerückt zu werden.
Unserer zwischenmenschlichen Kommunikation mangelte es schon zu lange an wirklicher Seelenbegegnung. Zu oft verkam sie zu einem primitiven Schlagabtausch von Kampfhähnen oder Platzhirschen.
Wobei ich an dieser Stelle bemerken möchte, daß in den Gemeinschaften, in denen ich mehrere Jahre lebte, fast nur “Kampfhennen” bzw. “Platzhirschkühe” auf einander losgingen. Also wesentlich mehr Streitgebaren zwischen Frauen als unter Männern. Das nur so nebenbei erwähnt.
Das Leben in einer Gemeinschaft gilt als Schnellzug zum Selbsterfahrungs-Ziel. Denn es gibt viel mehr Erfahrungs-Möglichkeiten, wenn sich viele Menschen auf engem Raum organisieren.
Doch auch in Zweier-Begegnungen ist es für mich mehr als hilfreich, die Kommunikations-Empfehlungen von Scott Peck auf dem Schirm zu haben. Mit ihrer Hilfe fällt es uns leichter, Fremdes anzuschauen und zu achten.
Was meinst du? Wie immer freue ich mich über deinen Kommentar!
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